Wenn ich in den letzten Jahren im Mai einen Blick auf den Kalender warf, dann war das Schuljahr nach Himmelfahrt eigentlich gelaufen, Mitte Juni beginnen in Berlin die Sommerferien. In diesem Jahr ist alles anders. Fünf Wochen Schule noch und wir fangen gerade erst wieder an. Und das auch nur mit halber Motorleistung und mit angezogener Handbremse.
Mich treiben viele Fragen um: Was ist in der gemeinsamen Zeit noch zu schaffen? Haben alle Kinder den Stoff, der in der Zeit zu Hause bearbeitet wurde, verstanden? Was ist jetzt noch wichtig? Das zu entscheiden stellt mich mitunter vor Herausforderungen. Wie gelingt der Wechsel zwischen Präsenzunterricht und Homeschooling? Wie lassen sich all die Hygieneregeln in der Schule umsetzen? Und auch die Ungewissheit: Bleibt es nun so?
Und ich habe damit zu kämpfen, dass alles das, was in den letzten Wochen des Schuljahres so schön ist, es in diesem Jahr nicht geben wird. Die Klassenfahrten fallen aus. Für die Sechstklässler gibt es keine Abschlussfahrt. Das Sommerfest – der Abschluss des Jahres, an dem wir all das, was wir geschafft haben, präsentieren und uns feiern – muss ausfallen! Ich hätte es so gern anders und muss von meiner Vorstellung, wie ein Schuljahr endet, Abschied nehmen – loslassen!
Mich erleichtert, mich häufig mit meinen Kollegen auszutauschen – wie sie die Situation wahrnehmen, wie es ihnen in dieser Situation geht. Wir sprechen darüber, wie sie mit den Herausforderungen umgehen, aber genauso wichtig ist, dass wir uns über unsere Gefühle austauschen können.
Mut zur Lücke – das sage ich mir in den letzten Wochen öfter mal! Annehmen, dass ich nicht alles schaffe! Mir hilft der Gedanke, dass es allen anderen auch so geht und dass in außerordentlichen Situationen nicht alles normal weiter laufen kann. Nicht alle Inhalte, die für dieses Schuljahr vorgesehen waren, werde ich umsetzen können. Ich muss jetzt entscheiden, was wichtig ist. Ich werde nicht alle Schüler gleichermaßen auf den Übergang vorbereiten können. Nicht all das, was ausgefallen ist, kann ich nachholen. Und zugleich sehe ich, dass wir in dieser Zeit Dinge über uns gelernt haben, die viel wert sind. Wir haben Erfahrungen gemacht, die uns prägen. Mitunter sind die mehr wert als das Wissen über die adverbialen Bestimmungen.
Und ich muss nicht alles allein entscheiden. Gemeinsam mit den Kindern will ich überlegen, wie wir trotzdem einen schönen Abschied gestalten können. Vielleicht kommen sie ja auf Ideen, die mir gar nicht kommen. Was ist ihnen wichtig für die letzten Wochen – neben all dem Schulischen?
Und vielleicht machen wir aus dem Abschlussfest ein Wiedersehensfest im nächsten Jahr!
Johanna Etzold
Lernbegleiterin, Psychologin und Mutter von drei Kindern
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule
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