Auf die Frage, warum er kein Handy besitze, antwortete neulich jemand in einem Interview: Weil meine Aufmerksamkeit nicht ständig damit entführt werden soll! Er nannte die Geräte und die Gelegenheiten, bei denen das vorkommt, Hijacker – Entführer. Obwohl ich mein Handy auf jeden Fall weiter benutzen werde, gefällt mir das Bild.
Meine Aufmerksamkeit kann an jeder Ecke entführt werden. Überall lauern Hijacker. Und damit sind nicht nur die offensichtlichen großen und kleinen Bildschirme gemeint, sondern auch meine eigenen Gedankengänge, die im Hintergrund laufen. Am häufigsten kommen die Hijacker wohl an Plätzen vor, wo viel Stress herrscht… Wer seine Aufmerksamkeit behalten will, hat aber nicht unbedingt Lust, auf jeder Straße um sie zu kämpfen. Schon gar nicht, wenn unklar ist, ob man diese Kämpfe überhaupt gewinnen kann.
Aber hier ist das Ding: Die Hijacker sind zwar überall und zahlreich, aber sie geben die gestohlene Aufmerksamkeit überraschenderweise auch schnell und ohne Lösegeldforderung wieder her. Sie sind sozusagen gut im Entführen, aber schlecht im Festhalten. Eigentlich muss mir nur bewusst werden, dass meine Aufmerksamkeit entführt worden ist und – schwupp, ist sie wieder bei mir.
Vielleicht geht es dann auch gar nicht so sehr darum, Aufmerksamkeit festzuhalten? Ein paar derjenigen Übungen, die wir in den Modulen anbieten, mache ich seit einiger Zeit selber regelmäßig. Ich mag vor allem die, in der ich Füße, Hände und Gesicht spüren kann. Ich glaube, mein Wunsch ist, an wichtigen Stellen zu wissen, wo meine Aufmerksamkeit eigentlich gerade ist. Und wenn ich sie mir für ein paar Momente zurückhole, gibt es mir das Gefühl, mehr da zu sein.
Klemens Röthig
Familienberater und Pädagoge
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule
Titelphoto: Empathie macht Schule.