Die ersten Schultage liegen hinter mir. Und schon Montagnachmittag war ich wütend. So wütend über jene Ideen, die unsere Schule im Umgang mit Covid 19 an den Start gebracht hat – und vielleicht noch mehr mit der Art, wie sie begründet wurden: „Wenn ihr vor den Sommerferien verlässlicher gewesen wärt, hätten wir andere Lösungen parat gehabt.“ Ich wusste gar nicht, wohin mit mir und meiner Wut. Ich verstehe, dass es möglicherweise nicht anders geht. Ich verstehe auch, dass möglicherweise Lehrerinnen und Lehrer sowie die Schulleitung so ausgemergelt von der Zeit vor den Sommerferien waren, dass es nicht möglich war, etwas Besseres zu erarbeiten. Trotzdem bin ich wütend.
Will ich jedoch Rücksprache mit der Schule halten, sagen meine Kinder: „Bitte nicht, dann bekommen wir nur schlechte Noten.“ Dieser Satz bringt das Rumpelstilzchen in mir so richtig zum Tanzen. Dann möchte ich am liebsten Schule ganz abschaffen oder wenigstens meine Kinder abmelden (was wegen der Schulpflicht leider nicht möglich ist). Mein Kopf verwandelt sich in eine Art Popcorn-Maschine, die lauter neue Worstcase-Szenarien ausspuckt: Wie sollen Kinder unter diesen Umständen ihr erstes Schuljahr schaffen, ihr viertes, ihr sechstes, ihr zehntes und ihr Abitur? Es ist ja schlimm genug, dass ein Virus so unverschämt daher kommt und einfach keine Grenzen kennt, wie der Sars-CoV-2. Aber noch schlimmer ist für mich, wenn Kinder für schlechte Lösungen, verantwortlich gemacht werden. Ganz ehrlich: Das ist sowas von ungerecht. Dafür habe ich kein Verständnis. Will ich auch gar nicht haben.
Und trotzdem: Wenn ich mich weiter so aufführe, dann komme ich definitiv nicht mit der Schulleitung in den Kontakt, das treibt mich nur noch weiter von ihr weg. Diese Wut treibt mich sogar von meinen Kindern weg…. Und mich von mir! Von meinen Werten. Und das will ich auf keinen Fall. Denn eine unkontrollierte Wut kann aus einem nett gemeinten Lagerfeuer einen Waldbrand entfachen.
Ich denke an eine Freundin, die sich in solchen Fällen gerne sagt: „Atmen, atmen, alles zulassen.“ Als ich das mache, stelle zuerst einmal fest: So, wie ich gerade bin, mag ich mich selbst nicht. Ich mag nicht so wütend und aggressiv sein. Schon gar nicht auf Lehrer und Lehrerinnen. Denn die machen einen wirklich verdammt wichtigen Job. Darüberhinaus ist Schule DER Ort, an dem unsere Kinder, neben dem Elternhaus, die meiste Zeit ihres jungen Lebens verbringen. Wenn ich ich hier herumwettere, ist das nicht anders, als würde ich über den Vater meiner Kinder schimpfen – ich bringe sie damit in einen durchaus ähnlichen Loyalitätskonflikt.
Als ich langsam wieder bei mir ankomme, finde ich einen Zettel, auf dem ich mir einmal bei einem Vortrag von Jesper Juul zum Thema Aggressionen Notizen gemacht habe, und ich lese ihn meinem Rumpelstilzchen vor, dass ich zu mir an den Tisch eingeladen habe. Dort steht unter anderem, dass wir ohne freien Zugang zu unserer Aggression nicht dazu in der Lage wären, zu verführen, guten Sex zu haben, Kinder zu zeugen, Ziele zu formulieren und zu verfolgen, zu konkurrieren, Grenzen zu setzen, die eigene Integrität zu wahren, uns und unsere Lieben zu verteidigen oder Zugang zu unserer Kreativität zu haben, mit der wir alternative Lebensweisen schaffen können.
Da sage ich zum Rumpelstilzchen: „Na, wie gut, dass du so herumgetobt hast.“ Und es fragt: „Warum?“ „Na, weil ich jetzt weiß, worüber ich mich so ärgere. Nämlich, dass all die Lösungen, die sich die Schule hat einfallen lassen hat, unbefriedigende Kompromisse sind.“ „Und jetzt?“ fragt es. „Jetzt merke ich, dass ich so viele Ideen habe, wie man das anders lösen kann. Und ich merke gleichzeitig, dass diese Ideen, die ich im Gepäck habe, möglicherweise nicht gewollt werden. Das ist so frustrierend.“
Bis ich weiß, wie ich mich mit Neugier und ohne Frust an die Schule wenden kann, laufe ich mit meinem Rumpelstilzchen um den Block. Denn das erdet mich wieder und hilft, meine eigenen Gefühle ernst zu nehmen und macht es mir leichter, meinen Kindern auch in diesem Schuljahr gut zuzuhören – auch wenn deren Frust und Wut mal überborden.
Mona Kino
Drehbuchautorin, Familientherapeutin und Supervisorin
Vermittlungs- und Presseteam bei Empathie macht Schule
Titelphoto von privat