25. August 2023 | johanna etzold

Beziehungskompetenz in der U-Bahn

Am kommenden Montag beginnt in Berlin für die, die am Schulalltag teilhaben „offiziell“ die Schule. Für manche das erste Mal, für andere nach einer Auszeit und für einige wie gewohnt nach der sommerlichen Pause. Die Telefone werden wieder häufiger klingeln, das e-Mail Fach wird voller und die Erwartungen und Bedürfnisse von anderen, werden zunehmend mehr im Vordergrund stehen als die eigenen. Damit die eigenen Bedürfnisse und Erwartungen nicht im Hintergrund verschwinden, hier zum inspirieren ein Beitrag zu dem, was beim Schulprojekt im Zentrum steht: Beziehungskompetenz.

Während der Module von Empathie macht Schule und in den anschließenden Supervisionen/Reflexionsgruppen arbeiten wir mit einem Reflexionsmodell – Beziehungskompetenz in der Praxis. Helle Jensen hat dieses Modell entwickelt und in vier Schritten kann ich eine für mich schwierige oder herausfordernde Situation beleuchten. BiP.

Die vier Schritte sind: 

  1. Ich beschreibe die Situation. 
  2. Dann richte ich den Blick auf mich: Auf meinen Körper, wo gibt es zum Beispiel feste Stellen? Und welche Gefühle habe ich, bin ich aufgeregt oder ärgerlich? Was denke ich? 
  3. Als nächstes richte ich meine Wahrnehmung auf mein Gegenüber: Wie kann ich das Verhalten meines Gegenübers verstehen? 
  4. Und im vierten Schritt frage ich mich: Was kann ich jetzt, oder das nächste Mal, tun?

Hin und wieder mache ich ein Mini-BiP auf dem Weg zur Arbeit. Das hilft mir in schwierigen Situationen mitunter gelassener zu reagieren. Denn Situationen im Alltag, die mich irritieren, gibt es da immer wieder. Schwierig können Situationen für mich werden, wenn ich zum Beispiel mit einem Verhalten konfrontiert bin, das mich irritiert oder stört, ich mich angegriffen fühle oder das Gefühl habe, ungerecht behandelt zu werden.  Zum Beispiel, wenn ich auf dem Rad sitze und schwups fährt ein Auto auf die Straße und nimmt mir die Vorfahrt. Dann passiert ja etwas in mir. Eine körperliche Reaktion, Gedanken, Gefühle werden ja dann innerhalb von Millisekunden in mir ausgelöst. Und mitunter reagiere ich so ungehalten, dass es mir hinterher leid tut.

Neulich stand ich beispielsweise in der U-Bahn. Sie fuhr in den Bahnhof ein. Die Türen öffneten sich und als ich aussteigen wollte, stand schon der erste Fahrgast so vor der Tür, dass ich es kaum geschafft habe auszusteigen. 

Ich spürte wie es in meinem Hals es eng wurde und der Blutdruck hoch ging. 

Ich nahm auch eine Anspannung in meinen Händen wahr. 

Ich ärgerte mich und dachte: „Kann der nicht Platz machen! So ein Blödmann!“

Dann drängelte ich mich raus, nicht ohne dem eiligen Fahrgast einen zornigen Blick hinterherzuwerfen. Und auf dem weiteren Weg ärgerte ich ich dann über mich selbst, dass ich so aus der Haut gefahren bin. 

Aber als ich kurz danach das Mini-Bip machte, führte ich mir meine Situation nochmal  vor Augen: ja, da stand mir jemand im Weg. Mein Herz schlug schneller, mein Atem blieb einen Moment lang weg. Ich habe mich geärgert. Das ist ja auch ärgerlich. Dann nahm ich zehn Atemzüge und dachte: „Okay, wie kann ich denn jetzt mein Gegenüber verstehen?“ Hatte er es eilig, wollte gern einen Sitzplatz ergattern, weil er eine weite Fahrstrecke hat oder er hat einfach nur einen Moment mal nicht aufgepasst? Denn all das kenne ich ja auch von mir. Ich bin auch schon ganz in Gedanken versunken in die U-Bahn oder den Bus eingestiegen und habe nicht Platz gemacht. Mal weil ich einen Sitzplatz ergattern wollte, Mal weil ich unachtsam war. Und dann konnte ich auf einmal wieder lachen und mir selber sagen: „Wenn das das nächste mal passiert, nicht gleich rempeln, liebe Johanna, sondern lieber atmen, atmen, alles zulassen.“ Denn um ehrlich zu sein: Ich war spät dran. Und wäre ich das nicht gewesen, hätte mich das „Hindernis“ nicht so schnell aus dem Gleichgewicht gebracht. 

portrait Johanna Etzold

Johanna Etzold
Lernbegleiterin, Psychologin und Mutter von drei Kindern
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule

Titelphoto:privat