Heute habe ich vor Edeka eine Mutter gesehen, die gerade ihrer Tochter einen Mundschutz umband. Die Tochter streckte der Mutter das Gesicht entgegen, bis die Schleife gebunden war. Ihre kleine Schwester war bereits versorgt und drehte sich um einen Laternenpfahl. Mich hat das Bild berührt, ich weiß nicht warum. Vielleicht weil alle drei auf ihre Weise mitmachen.
Als unsere Kinder klein waren und ich einen ganzen Tag mit ihnen allein verbracht hatte, lag ich abends erschöpft und meist etwas unzufrieden im Bett und ließ den Tag Revue passieren. Dabei kamen mir plötzlich Szenen in Erinnerung, die ich mit den Kindern erlebt hatte: eine Frage beim Essen; ein Lachen beim Buch vorlesen; ein kurzer Moment nach dem Toben; eine Hand, die meine beim Spaziergang greift. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr entstand das Gefühl, einen erfüllten Tag erlebt zu haben. Sozusagen zeitversetzt.
Heute mache ich am Ende des Tages manchmal ganz bewusst einen Check Out: Ich probiere aus, ob mir drei Dinge einfallen, die gut an meinem Tag waren. Es ist erstaunlich, welche scheinbar winzigen Erlebnisse man auf diese Weise ins Bewusstsein rufen kann und welche Bedeutung sie bekommen können. Plötzlich bin ich froh, dabei gewesen zu sein. Zum Beispiel heute vor Edeka.
Ich habe nie erlebt, mit Kindern fünf Wochen zu Hause bleiben zu müssen und habe deshalb keine Ahnung davon, wie sich das vor dem Einschlafen anfühlt. Vielleicht ist eine Übung das Letzte, was du gebrauchen kannst. Aber falls doch: Was war gut an deinem Tag? Woran denkst du dabei? Warum war es gut? Und wie ist es, daran zu denken?
Klemens Röthig
Familienberater und Pädagoge
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule