Das Jahr neigt sich dem Ende und die Zeit der Reflexion beginnt. Was war gut 2022, was war nicht so gut, was möchte ich mitnehmen, was hinter mir lassen?
Am 5. Oktober dieses Jahr, war der Empfang des Schulprojekts Empathie macht Schule in der Dänischen Botschaft. Und obwohl ich schon lange mit dem Programm vertraut bin, möchte ich alles, was ich dort gehört und erlebt habe mit ins nächste Jahr nehmen. Und darüber hinaus.
Der Projektleiterin Helle Jensen dabei zuzuhören, wie sie einem breiten Publikum die Grundlagen des Programms in einfachen Worten beschreibt, war mir eine große Freude und Vorbild zugleich. Denn allzuoft versteigen wir uns ja gerne in komplizierte Erklärungen und am Ende weiß keiner mehr wo vorne und hinten ist. Das gepaart mit den Berichten von einigen Teilnehmenden an den Modellschulen ist jedenfalls ein besonderes Highlight in diesem Jahr für mich gewesen. Denn offenbar ist das, was Empathie macht Schule sich wünscht, in weiten Teilen dort angekommen, wo es ankommen soll. Bei den Kindern, deren Eltern und vor allem beim Schulpersonal, die immer wieder sagen, „Wenn das Teil der Ausbildung gewesen wäre, das hätte mir und den SchülerInnen vieles erleichtert. Auch in Konflikten mit KollegInnen und im Privaten.“
Auch das Lachen des Schriftstellers Peter Hoeg, der seit langem ein Mitarbeiter von Helle Jensen ist, das ihn bei seinem Beitrag überkommen hat, nehme ich mit. Denn als er das Publikum bat, sich kurz einmal bei den Sitznachbarn mit Handschlag und Namen vorzustellen, passierte es, dass sich die einander Vorstellenden direkt in Gespräche miteinander vertieft haben. Das hat mich daran erinnert, wenn Kinder nicht das machen, was wir uns vorgestellt haben, wenn wir ihnen einen Auftrag geben. Und uns ärgern. Sein Lachen dabei war so voller Staunen und Herzlichkeit, dass ich sehen konnte, dass wir das, was aus unserem Auftrag entsteht als: „Hey, wie schön ist das denn, die kennen sich kaum und haben sich auf Anhieb soviel zu erzählen?“ sehen können. Als eine Momentaufnahme sehen können und nicht als Scheitern.
Doch was ich am meisten, neben der aktuellen Studienlage ähnlicher Programme und der derzeitigen Lage der qualitativen Datenerhebung von Empathie macht Schule mitnehme, ist, der Beitrag von Mette Miriam Böll. Die promovierte Biologin mit den Schwerpunkten Evolution komplexer sozialer Systeme, Spielverhalten von Säugetieren und Naturphilosophie ist Mitbegründerin und Geschäftsführerin des Center for Systems Awareness und Gastforscherin am Jameel World Education Lab (JWEL) am MIT. Sie verbindet bei ihrer Arbeit ihr Fachwissen in Ethologie mit ihren Zusatzausbildungen in kontemplativer Führung, sowie in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, um zu erforschen, wie Stimmungen und Gefühle in sozialen Beziehungen übertragen werden und wie die sich daraus ergebenden Beziehungsfelder wiederum jene größeren Systeme formen, denen auch wir Menschen angehören.
Ihr Beitrag hat mir die Antwort auf die Frage gegeben, die ich mir selbst oft stelle und die ich oft in den Modulen und in der Supervision gestellt bekomme: „Weshalb helfen all diese Programme denn nicht auf Dauer? Wir haben schon soviel tolles ausprobiert und immer wieder scheitern die Bemühungen.“
Sinngemäß sagte sie, es ist nicht das System, das kaputt ist. Das System wird ja durch das, was wir denken, fühlen und wie wir handeln strukturiert. Die sogenannten mentalen Modelle. Und dadurch, dass bei den meisten Programmen dort zu wenig Aufmerksamkeit hingeschickt wird, passiert es, dass diese oftmals auf Dauer scheitern. Denn solange ein Mensch mit dem gleichen Denken, den gleichen Gefühlen und den gleichen Handlungen zurück ins Klassenzimmer oder nach Hause geht, solange werden neue Programme mit den gleichen Gefühlen, Gedanken und Handlungen umgesetzt. Und Albert Einsteins Zitat: „Probleme kann man nicht mit den Mitteln lösen, durch die sie entstanden sind“ hat so für mich eine erweiterte Dimension bekommen. Nämlich, dass das der Wesenskern von Empathie macht Schule ist. bei allen Inhalten, die vermittelt werden, legt es einen besonderen Wert darauf nachzufragen: „Was fühle, erlebe und wie handele, wenn ich das höre, was mir hier vermittelt wird? Glaube ich das? Oder sehe ich das ganz anders? Und wenn ja, wie?“ Aus diesem konstanten Dialog mit sich und anderen entstehen dann diese Momente, die viele Teilnehmende oft als magisch bezeichnen. Wie beispielsweise, wenn ein herausforderndes Kind aufhört herumzuzappeln oder zu stören, sondern entspannt bei der Arbeit sein kann.
Für alle die, die jetzt Lust bekommen haben sich mit den Inhalten des nachmittags nachträglich vertraut zu machen, hier der Link zum Live-Stream nochmal. Und für alle die, denen drei Stunden zu lang sind, Anfang des Jahres gibt es mehrere kürzere Filme, der einzelnen Beiträge. Diese werden dann etwa zwanzig bis dreißig Minuten lang sein, um in das eine oder andere Thema nach Bedarf einzutauchen.
Mona Kino
Drehbuchautorin, Familientherapeutin und Supervisorin
Vermittlungs- und Presseteam bei Empathie macht Schule
Titelphoto: Johanna Ruebel