24. Juni 2020 | mona kino

Ferien-Schooling? Nein danke!

Beim Online-Elternabend unserer Schulehörte ich mich neulich laut und deutlich „endlich Ferien!“ sagen. Ich merkte, wie sehr ich diesen Satz verinnerlicht habe: Seit ich selbst in den 1970er Jahren zur Schule ging und mich auf das Ausschlafen freute, auf das In-den-Tag-hineinleben, die Sonne, das Freibad – und vor allem: keine Hausaufgaben. Und ich merkte, dass dieser Satz so automatisch aus mir herauspurzelte als hätte es die letzten drei Monate nicht gegeben.

Der strenge Blick eines Vaters, eine in Falten gelegte zweifelnde Stirn einer Mutter, das Schweigen der beiden Lehrer*innen brachten mich jedoch schnell zurück in die Realität. Innerlich tauschte ich mein Ausrufezeichen schnell gegen ein Fragezeichen aus. „Endlich Ferien?“ Wie soll das eigentlich gehen? Ist der Lernstoff des letzten Halbjahres überhaupt vermittelt worden? Und wenn nicht, geht dann das Lernen in den Ferien weiter, das Home-Schooling? Arbeiten muss ich ja in den Ferien auch.

Für mich wäre es leichter, wenn die Kinder kein Home-Schooling machen müssten; denn meine Kinder sind alt genug, um sich selbständig mit ihren Freunden und Freundinnen zu verabreden, barfuß um den Block laufen oder im See schwimmen – und ich kann arbeiten und abends dann den Grill anschmeißen. Die Vorstellung, ihnen in diesen Ferien weiterhin irgendwie geschickt den Lernstoff zu vermitteln, ohne dass sie mich ständig mit Augenrollen ansehen, scheint für mich hingegen kaum auszuhalten.

Eigentlich ist meine Haltung: Ferien sind zum Ferienmachen da. Wer von meinen Kindern Lust hat, etwas freiwillig zu lernen, segeln, surfen, Gummitwist oder meinetwegen auch Bus- und Bahnfahren – alles ist erlaubt. Es gibt nur eben keinen Zwang, kein Muss. Nur: Gilt das auch in diesen Ferien? Komme ich dann meiner Aufgabe als verantwortlicher Elternteil nach?

Genauso schnell wie mein „Endlich Ferien!“ herausgepurzelt war, purzelten jetzt alte, früh verinnerlichte Strategien aus mir heraus. Einen Abend lang – vielleicht waren es auch zwei oder drei – habe ich mich dabei ertappt, wie der strenge Blick des Vaters und die Sorgenfalten der Mutter mich innerlich dazu animierten, Belohnung und Strafe für das Ferien-Schooling auszuprobieren. „Wenn ihr in den Ferien einen Deutschkurs belegt, dann….“ oder „Wenn ihr ihn nicht belegt, dann….“.

Doch die Erleichterung, eine Lösung parat zu haben, hielt nicht lange an; denn ich will ja nicht strafen und nicht belohnen, ich mache mir halt einfach Sorgen. Nun bin ich aber auch der Überzeugung, dass ich meine Kinder nicht mit meinen Sorgen belasten will. Was also tun?

Ich erinnere mich an einen Satz von Jesper Juul: „Wenn nichts geht, dann versuchen Sie es mit der Wahrheit.“

Also fasste ich mir ein Herz, setzte mich mit meinen Kindern hin und sagte: „Ich bin unsicher, wie wir diese Ferien gestalten sollen. Seit ich besorgte Eltern sehe, die ihren Kindern in den Ferien Nachhilfekurse organisieren, damit sie ohne versäumtes Pensum in das neue Schuljahr starten können, merke ich, wie meine Sorgen wachsen. Wie geht es euch? Habt ihr Sorgen, dass ihr Lernstoff nicht darauf habt, und benachteiligt ins kommende Jahr startet?“ Beide schüttelten den Kopf: „Nö.“ „Wenn ich mich jetzt ausruhe, dann hole ich das alles auf, wenn ich nach den Ferien wieder in der Schule bin.“

Ich ließ die Antworten einen Tag lang sacken. Ich merkte: Es geht nicht so sehr darum, meinen Kindern in ihren Aussagen zu vertrauen (vielleicht können sie es nicht absehen). Es geht in erster Linie darum, mir zu vertrauen. Wenn ich meinem Urteil vertraue, dass Ferienzeit dafür da ist, Ferien zu haben, dann werde ich die Auszeit vom Home-Schooling genießen, und werde sie im neuen Schuljahr selbst dann gut unterstützen können, wenn sie dann doch hinterherhängen sollten, kann sie begleiten, ohne zu sagen: „Siehst du, habe ich dir – oder euch – doch gesagt.“

Niemand kann in die Zukunft sehen. Meine Kinder genauso wenig wie ich. Kinder haben ein Recht auf Ferien. Immer! Und ganz besonders nach den letzten drei Monaten.

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Mona Kino
Drehbuchautorin, Familientherapeutin und Supervisorin
Vermittlungs- und Presseteam bei Empathie macht Schule

Titelphoto von privat