Mit zunehmender Verwunderung habe ich in den letzten Wochen wahrgenommen, dass versucht wird, die bestehende Schulstruktur aufrecht zu erhalten und digitalisiert ins Home-Schooling zu übertragen (die ganze Zeit frage ich mich schon, ob es dafür nicht ein deutsches Wort gibt?). Unterm Strich läuft dies meist auf ein „Abarbeiten“ von Schulbuch und Arbeitsheftseiten hinaus.
Ich habe mehrere Ansätze unternommen und überlegt, wie viel ich in den verbleibenden Wochen noch „schaffen“ kann, wie ich den vielen und unterschiedlichen Erwartungen gerecht werden kann – und habe schließlich alle Pläne wieder verworfen.
Was hilft mir, gute Entscheidungen treffen zu können? Ich habe gelernt, wie wertvoll es für mich ist, mir Zeit zu nehmen, in mich hineinzuhorchen. Sobald ich bewusst Kontakt zu meinem Atem aufnehme, fühlt sich das wie ein inneres „Sich Setzen“ an. Ein für andere unmerkliches „Erden“, mit dem ich guten Kontakt zum Boden herstelle, die Kraft meines Körpers spüre und die ruhige Beständigkeit meines Atems. Das hilft mir, zu erkennen, was ich will und kann – in diesem Fall: mich zu trauen, Nein zu sagen und nicht alle Erwartungen zu erfüllen!
Nachdem ich mir das eingestanden habe, werde ich innerlich ganz ruhig und klar. Ich möchte nicht durch die noch fehlenden Inhalte der Rahmenlehrpläne hetzen, nur abarbeiten und damit mich und die Kinder unter Druck setzen. Nein, ich möchte offen für die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder sein. Ich werde die Zeit auch dafür nutzen, um den Kindern zu helfen, in Kontakt zu sich selbst zu kommen. Ich werde mir ihre Erwartungen, Wünsche, Sorgen und Ängste anhören, sie in ihrem Erleben und ihren Gefühlen ernst nehmen: Wie war es für Euch in der Zeit ohne Schulbesuch? Gemeinsam werden wir uns Zeit nehmen, um zur Ruhe zu kommen.
Besonders beliebt war schon vor Corona bei meinen Schüler*innen ein kleiner Bodyscan (-> Grundübung Körper), den ich Körperreise nenne. Dazu setzen sich die Kinder gerade und mit geschlossenen Augen auf ihren Stuhl. Als erstes beginnen wir bewusst, zu atmem, spüren in den Körper hinein, und ich biete einige Möglichkeiten an, was spürbar sein könnte: das Heben und Senken der Brust, die Bewegung im Bauch oder auch der Luftzug an den Nasenflügeln. Dann „reisen“ wir gemeinsam, bei den Füßen beginnend, durch den Körper. Auch hier mache ich Vorschläge und weise darauf hin, dass jede/r diese Übung sicherlich anders erleben oder nicht viel spüren wird – und auch das ist in Ordnung.
Je nach Zeit kann diese Reise länger oder auch kürzer gestaltet werden. Die Bereitschaft und Offenheit, mit der sich die Kinder auf diese Übung einlassen, ist jedes Mal wieder beeindruckend. Auch, welch interessante Erfahrungen sie machen – und dass sie gerne davon berichten.
So wie es mir selbst geht, wenn ich „vom Kopf in den Körper komme“, können auf diese Weise auch die Schüler*innen erleben, wie gut es gerade in dieser angespannten, ungewissen und auch Angst machenden Zeit tut, zur Ruhe zu kommen. Wir werden auch weiterhin mit viel Ungewissheit und nicht Vorhersagbaren leben und neben dem Einmaleins und richtiger Grammatik ist es für die Kinder jetzt und auch zukünftig wichtig, einen Weg zu finden, damit umzugehen – und auch einmal aus einer inneren Stärke und Klarheit heraus gut überlegt Nein zu sagen.
Ina Rohde
Kinderkrankenschwester, Grundschullehrerin und Sonderpädagogin
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule
Titelbild von bluebudgie/Pixabay.