11. Juli 2023 | mona kino

Liebe Eltern,…

Neulich bekam ich den Brief einer Schulleitung in die Hände. Darin wird den Eltern eine Perspektive auf die bevorstehenden Zeugnisse gegeben, die mich sehr berührt hat.

Liebe Eltern, 

In den nächsten Tagen gibt es Zeugnisse. 

Ich weiß, Sie sind alle aufgeregt und hoffen, dass ihre Kinder ein gutes Zeugnis bekommen. 

Ich möchte Sie bitten sich daran zu erinnern, dass es unter den Schüler:innen Kinder gibt, die später vielleicht Künstler:innen werden, denen Mathematik jetzt nicht so wichtig ist, wie der Pinsel, oder zukünftige Unternehmer:innen, die sich noch nicht für Aufsätze und NaWi interessieren, oder auch Musiker:innen, deren Sportnote momentan keine Eins sind. Aber es gibt auch solche Schüler:innen darunter, deren Note in Sport herausragend sind, und die sich jetzt vielleicht einfach noch nicht für das Lesen interessieren, weil sie sich lieber bewegen. Wenn Ihr Kind tolle Noten hat, Gratulation. Aber wenn es das nicht hat, bitte ich Sie, es nicht daran zu messen. Nehmen Sie es einfach in den Arm und sagen ihm: Das ist okay. Es ist nur ein Zeugnis. Wir lieben dich, so wie du bist.

Ich hätte mir einen Brief, wie diesen, von einem der Schulleiter:innen an meine Eltern und die, meiner Freundinnen und Freunde gewünscht. Denn ich war eine von diesen Schüler:innen, die sich mehr für Bewegen, Malen und Lesen interessiert hat, sodass ich (nicht nur) in der Grundschule in den anderen Fächern oft weniger gut abgeschnitten habe. Die traditionellen Zeugnisessen mit meinen Eltern fielen entsprechend aus: mich ermahnend und abwertend. Das endete so viele Male mit Tränen, bis ich mir innerlich eine Rüstung für diese Abende angelegt habe. Diese Rüstung bemerke ich heute noch, wenn ich in Situationen komme, in denen es darum geht, meine Leistungen anhand von Zeugnissen und Abschlüssen und nicht meiner Fähigkeiten darzulegen, die ich außerhalb von Testsituationen habe. Auch wenn ich heute in der Lage bin, diese Rüstung abzulegen, denke ich jedes Mal dabei: Was für einen Druck Kindern damit gemacht wird, mit dem sie vor allem auch nicht besser in der Schule werden…. Niemand kann in die Zukunft sehen. Das Leben ist unvorhersehbar, und so auch das, wofür sich unsere Kinder wann und wie interessieren. Aus eigener Erfahrung, und auch als Mutter, deren Kinder jetzt beide mit der Schule fertig sind, weiß ich, Druck erzeugt Widerstand. Und Neugier und Interesse, Neugier und Interesse. Und in Physik war ich wirklich bis zum Schluss ein weißes Blatt Papier…oder eben vielleicht doch nicht so ganz 😉 

Schöne Ferien für Sie und Ihre Familien!

Mona Kino
Drehbuchautorin, Familientherapeutin und Supervisorin
Vermittlungs- und Presseteam bei Empathie macht Schule

Titelphoto:privat