Seit einigen Wochen läuft der Schulbetrieb wieder. An viele Einschränkungen haben wir uns gewöhnt. Und einige Dinge haben auch gute Seiten. Jede/r hat einen Tisch für sich allein – so lässt es sich konzentrierter arbeiten. Die Gruppen sind viel kleiner – das könnte ruhig so bleiben, für individuelles Arbeiten ist das von Vorteil. Im Morgenkreis singen wir nicht mehr – und auch darüber freuen sich einige Kinder.
Die Abstandsregel allerdings, jene 1,50 Meter, finde ich nach wie vor schwer umzusetzen. Viele Unterhaltungen hatte ich dazu mit meinen Schüler*innen und auch Kolleg*innen. Wie lässt sich das durchsetzen? Eine Schülerin meinte neulich zu mir, dass es auf der Straße oder im Geschäft ja noch gehen würde, den Abstand einzuhalten. Aber hier in der Schule mit ihren Freundinnen fände sie das ganz schrecklich: „So lange haben wir uns nicht gesehen und dann dürfen wir uns nicht mal drücken“. Das kann ich so gut verstehen. Außerdem fragen mich die Kinder oft, wie lange es denn diese Abstandsregel jetzt noch geben solle.
Mir fällt es schwer, dafür zu sorgen, dass die Schüler*innen den Abstand einhalten. Für die äußere Struktur kann ich Sorge tragen. Aber die Kinder ständig daran zu erinnern, dass sie den geforderten Abstand einhalten müssen, das fällt mir schwer.
Eine Mutter, die auch mit Gruppen arbeitet, hat letztens ihrem ganzen Unmut Luft gemacht. Sie hatte den ganzen Tag an den Hygienekonzepten gesessen, die sie beim Amt abgeben muss: „1,50 Meter – das kann ich nicht mehr hören! In der Arbeit mit Menschen ist das so unglaublich schwer einzuhalten!“ Mir tat es gut, das von ihr zu hören; denn mir geht es ja genauso!
Das merke ich auch, wenn ich mit einem Schüler gemeinsam eine Geschichte überarbeiten möchte. Da braucht es ganz schön viel Flexibilität! Und die bringe ich zurzeit nicht immer auf. Außerdem ist einer der Leitsätze für meine Arbeit: „Kein Lernen ohne Beziehung.“ Doch Beziehung braucht Nähe und nicht Distanz. Immer wieder gibt es Situationen, in denen ich merke, dass Abstand einhalten auch für mich schwierig ist. Wenn es zum Beispiel darum geht, einen Streit zu begleiten, zu trösten oder große Zuneigung auszudrücken. Und dann halte ich mich nicht an 1,50m. Manchmal weisen mich dann Kinder darauf hin, dass ich den Abstand ja gar nicht einhalte. Ja stimmt, ich mache das nicht immer.
Eine Schülerin meinte neulich, sie hätte mit der 1,50m-Regel gar nicht so ein Problem, weil sie für sich einen Weg gefunden habe, damit umzugehen. Es gäbe eben Situationen, da halte sie sich einfach nicht dran. Ich kann sie gut verstehen und schaue mitunter nicht ganz so genau hin. Und in anderen Momenten bitte ich sie, an den Abstand zu denken. Ich mache das von der Situation abhängig und spreche mit den Kindern auch offen darüber: Ich frage nach, wie es für sie ist, und ich erkläre meine Entscheidungen.
Johanna Etzold
Lernbegleiterin, Psychologin und Mutter von drei Kindern
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule
Titelphoto „Kinder Schulweg“ von Die Linke NRW/CC BY-SA 2.0.