Wer kennt es nicht, das Gefühl von Angst? Manche haben Angst vor Spinnen, vor der Dunkelheit oder vor großen Höhen. Im Alltag verdrängen wir oft unsere Ängste oder überspielen sie. Ich kann mich erinnern, dass ich als Kind meine Mutter gefragt habe, wo ich die Angst denn „in mir“ finden kann. Ihre Antworten haben diese Frage für mich damals nicht geklärt. Inzwischen habe ich erfahren, dass Angst meist mit Gedanken verbunden ist: Mit Erinnerungen an etwas, was einmal passiert ist oder mit Sorgen um das, was vielleicht passieren könnte. Heute denke ich, dass ich vielleicht deswegen riskante Hobbys gewählt habe, die das Angst haben geradezu herausfordern, um zu diesem „Innern“ meiner Ängste vorzudringen.
Die Corona-Krise bringt uns wohl alle in Kontakt mit Ängsten, auch wenn wir ganz unterschiedlich mit ihnen umgehen. Viele sind in Sorge um ihren Job. Auch die, die bislang noch keinen Kontakt mit dem Tod hatten, kommen nun kaum daran vorbei, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Denn der Virus kann jeden treffen. Wir könnten geliebte Menschen und Bekannte verlieren. Wir werden uns der Ohnmacht bewusst, etwas nicht in der Hand zu haben, in gewissem Maße ausgeliefert zu sein. All das macht natürlicherweise Angst.
Ich habe gelernt, meine Angst nicht nur auszuhalten, sondern mit ihr in Kontakt zu treten, sie kennenzulernen. Das erschien mir anfangs unmöglich, denn Angst ist ein starkes und überwältigendes Gefühl. Eine erste Annäherung war für mich, einen Gesprächspartner zu suchen, meine Angst zu benennen und damit anzuerkennen. Nach und nach habe ich so die Angst „aus dem Kopf in den Körper geholt“, sie angesehen, gefühlt und akzeptiert. Wenn ich mich gut mit meinem Atem verbinde, fühlt sich die Angst inzwischen wie eine Welle an, die kommt, mich zu überspülen droht – und dann wieder abebbt.
Du kannst sicher sein, dass alle Menschen in verschiedenen Ausprägungen mit Ängsten zu tun haben. So paradox das klingen mag, ist es auch etwas, was uns verbindet. Vielleicht magst du diese Zeit nutzen, dir einen Menschen zu suchen, um die Ängste auszusprechen, die dich beschäftigen, und dich mit ihnen anzufreunden. Sprich mit deinem Partner oder deiner Partnerin, einem guten Freund oder einer guten Freundin – jemanden, bei dem oder der du dich sicher fühlst.
Wenn du versuchen willst, mit deiner Angst in Kontakt zu treten, konzentriere dich auf deinen Atem. Versuche den Atem nur zu beobachten, ohne ihn zu verändern. Wo kannst du die Bewegung des Atmens im Körper spüren? Spürst das das Heben und Senken der Brust oder des Bauches? Folge einigen Atemzügen und wenn du bereit bist, begrüße deine Angst für ein paar Atemzüge lang. Sei behutsam und liebevoll mit dir selbst. Es geht nicht darum, die Angst auszuhalten. Wende dich von deiner Angst wieder ab, wenn es dir zu viel wird. Nimm ein paar tiefe Atemzüge, recke und strecke dich und mache das, was dir sonst hilft und gut tut, wenn eine Angst dich überfällt.
Ina Rohde
Kinderkrankenschwester, Grundschullehrerin und Sonderpädagogin
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule
Titelbild „Tsunami“ von Hokusai/Public Domain