19. September 2022 | johanna etzold

Wo ein Anfang ist, ist auch ein Ende und wo ein Ende ist, ist auch ein Anfang

Ich bin zur Zeit hundemüde, falle von den vielen neuen Eindrücken um mich herum am Abend lange vor meiner üblichen Zeit kaputt ins Bett. Das erinnert mich an meine Kinder, als sie in die Schule kamen. Völlig ermattet saßen sie am Nachmittag auf meinem Schoß und keine Rutsche, keine Schaukel konnte sie locken. Eine der Lehrerinnen der 1.Klasse sagte damals, dass es die größte Veränderung im Leben eines Menschen ist: der Wechsel in die Schule – vom mehr oder weniger selbstbestimmten Leben hinzu dem Sitzen auf Stühlen an Bänken im Klassenzimmer und der alles bestimmenden Schulklingel. 

So fühlt sich das für mich auch gerade an – ein großer Wechsel liegt hinter mir. 

Nach 15 Jahren in der Schule mit einem Team, festen Strukturen, einem Stundenplan als Taktgeber bin ich nun in der Selbstständigkeit angekommen. Ich denke, „Wie toll, dass ich mir meine Wochen selbst strukturieren kann“, „Ich kann ganz allein über meine Zeit bestimmen.“ Und auch: „Das ist verdammt anstrengend!“ Es ist herausfordernd den Wechsel auszuhalten: mal ist scheinbar nichts zu tun und dann wieder ganz viel. „Wie plane ich denn nun meine Tage, wie teile ich mir die Zeit ein?“ Und, „Reicht das Geld?“ So viele Gedanken gehen mit durch den Kopf. Und mir fehlen meine Kolleg*innen, der Austausch und auch meine Schüler*innen. Und ich merke, wie so oft, dass alles so oft ganz nah beieinander liegt. Die Freude, die Aufregung über etwas Neues und auch die Trauer, etwas Vertrautes zurückgelassen zu haben. 

Wenn ich dann einer Freundin sage, keine Party, kein Kino, kann mich gerade locken, dann will ich von ihr keinen Rat, kein: „Das schaffst du schon! Haben ja alle geschafft!“ Das hilft mir nicht, lässt mich unzufrieden zurück. Mir hilft dann Ruhe und früh schlafen gehen. Und jemand, der mir sagt: „Ja, das ist gerade anstrengend!“ oder „Boah ist das anstrengend!“

Und dann denke ich an die vielen Kinder, die gerade in die 1.Klasse gekommen sind? Oder in die zweite, dritte, vierte… Gibt es jemand, der ihnen ein tröstendes Wort, eine Umarmung spendet? Jemand der sieht, wie anstrengend alles ist? Und der auch die Trauer sieht? Denn zu einem Neuanfang gehört ja auch stets ein Abschied. Von den Sommerferien, dem Zuhause, alten Freund*innen aus der Kita oder mit denen man den Sommer verbracht hat? Einem vertrauten Ort und lieb gewonnenen Menschen. Jemand der sieht, dass das verträumte Gucken aus dem Fenster, dem Erinnern gilt und nicht unhöflich gemeint ist?

portrait Johanna Etzold

Johanna Etzold
Lernbegleiterin, Psychologin und Mutter von drei Kindern
Vermittlungsteam von Empathie macht Schule

Titelphoto:privat