19. Oktober 2023 | empathie macht schule

Zum Glück: Eine Ausrede weniger!

„Wie ist das eigentlich so in Dänemark in der Lehrerausbildung und im Schulalltag?“ Astrid Blaß, die Schulleiterin der Grundschule im Gutspark, erzählt von ihrer Reise mit den Schulleiter:innen von Empathie macht Schule nach Aarhus.

Zwischen Pfingsten und Himmelfahrt 2022 waren wir sechs Schulleiter:innen mit Christine Ordnung bei Helle Jensen in Aarhus. Und gleich bei der Ankunft wurden wir von einem Schweinswal begrüßt. Der Schwerpunkt der fünftägigen Dienstreise lag auf dem Austausch über das dänische Schulsystem und dessen Kennenlernen. 

Die Stimmung war schon bevor wir losgefahren sind von großer Vorfreude geprägt: Zusammen zu verreisen, fünf Tage!! Bisher sind wir uns mal einen oder maximal zwei Tage lang begegnet und eine Kollegin kannten wir noch gar nicht. Gemeinsam gemachte Erfahrungen schaffen eine Verbindung. Ein bisschen wie bei Klassenfahrten. Wann lernt man sich schon mal mit der Zahnbürste in der Hand kennen. Ich war gespannt und für alles offen, was kommt. Und ich habe auf der Hinfahrt schon dänisch gelernt. Ich lasse mich gern so richtig auf was ein. 

In den ersten beiden Tagen haben wir uns zwei Schulen angesehen. In der ersten hat ein Lehrer mit uns darüber gesprochen, wie sie die Notengespräche führen. Sie reden nicht mehr vor den Kindern mit den Eltern ÜBER die Kinder. Stattdessen haben sie Arbeitsblätter zum Leistungsstand entwickelt, die die Kinder selbstständig ausfüllen. Beim Treffen mit den Eltern unterhalten sich dann die Lehrer:innen und Schüler:innen über diese Selbsteinschätzung, die Stärken, Schwächen und Ziele. Die Eltern sind dabei Gäste.

In der anderen Schule ging es um die Zusammenarbeit mit dem Hort  – wie kann man mit Kindern mit besonderen Bedürfnissen arbeiten? 

Aus dieser Schule haben wir etwas in unseren Schulalltag mitgenommen: „Fagedage“. Wir führen das monatlich durch. Schwerpunkt ist hier, nicht das Fach, wie in Dänemark, sondern die Beziehung von Lehrkraft zu Klasse/Kind ohne Zensuren und Lehrplan-Druck. Auf diese Weise gelingt es uns zwischen den Klassenleiter:innen und den Schüler:innen eine bessere Beziehung herzustellen. Das bringt Ruhe in den Klassenraum, weil sich Erzieher:innen und Lehrer:innen mehr auf die Beziehungskompetenz fokussieren können, anstatt auf die inhaltliche Vermittlung des Stoffs. 

Ich hatte erwartet, dass wir an die dänischen Schulen kommen und dass ich ich da auf Bedingungen treffe, wo ich sagen kann: „Unter den Bedingungen schaffe ich das auch, ein besseres Schul- bzw. Arbeitsklima herzustellen.“ Aber das war gar nicht so. Zum Glück. Die haben gleich viele Schüler:innen und gleich viele Stunden. Auch die Schulgebäude waren ganz „normal“. Mit hier und da Ecken, wo sich die Leute was zusammen wursteln, wie wir hier auch. 

Der Frust, den anderen geht es besser, war weg. Das war schön. Allerdings ist das jetzt auch eine Ausrede weniger ;))

Als zweiter Programmpunkt stand ein zweitägiger Besuch an der VIA Universität auf dem Plan. Dort haben wir Birgitte Lund Nielsen getroffen, die dort für die Lehrerausbildung zuständig ist. 

Darüber haben wir auch zwei Praktikanten gefunden, die uns dann besucht haben. 

Das größte Aha-Erlebnis war kein Einzelnes. Etwas, mit dem ich nicht gerechnet habe war, dass die Bedingungen so ähnlich sind. Auch inhaltlich. Auch was wir in dem Vortrag an der Via gehört haben, was die Probleme in der Lehrerausbildung angeht. Zu viele Stunden, zu große Klassen. Und, dass dort auch Unzufriedenheit herrscht. 

Und dann hat mich meisten beeindruckt, diese freundliche Selbstverständlichkeit und die Offenheit, der ich immer wieder und überall begegnet bin. Das war wirklich überraschend. Weil alles irgendwie so ähnlich ist. Du fährst ja nicht nach Südamerika, wo von vorne herein klar ist, da ist das Leben ganz anders. Du fährst nur ein paar Kilometer weiter, alle sehen so ähnlich aus wie man selbst und trotzdem ist eine ganz andere Atmosphäre. Mir kommt es vor, als würde einvernehmlich gesellschaftlich wert drauf gelegt werden: weniger und dafür gut. Selbst im Restaurant beim Essen.

Nach der Rückkehr habe ich noch drei Tag lang weiter gelächelt. 

Das ist mir beim Autofahren auf der Stadtautobahn aufgefallen. Das ist mir, glaube ich, das erste Mal in meinem Leben aufgefallen. 

Was mir noch gut gefallen hat war, dass dort auch, vielleicht sogar europaweit, das Thema Inklusion ein Dilemma ist. Und zwar weil es den Kindern, die mit ihren besonderen Bedürfnissen in den „normalen“ Schulalltag kommen, nicht gut geht. In Dänemark gibt es dazu eine Studie, aus der hervorgeht, dass sie in den Stammklassen nicht das bekommen, was sie brauchen. 

In den dänischen Schulen handhaben sie es jetzt so, dass es in den Schulen einzelne Klassen für Kinder mit besonderen Bedürfnissen gibt. Sie sind zwar auch in einer Stammklasse, haben aber auch ihre eigene, wo sie gezielte Förderungen bekommen. 

Ich mochte dieses unaufgeregte Wahrnehmen und Einschätzen der Situation. Nicht gleich etwas total gut oder total doof zu finden und in eine Schublade zu packen, sondern Wahrnehmen, Annehmen, Durchatmen, Gucken welche Lösung geht. Eigentlich ist das nicht kompliziert anzuwenden. Es ist eine internalisierte innere Haltung. 

Das Aufgeregte hier fällt mir seitdem aber besonders auf. Die Amplituden sind so extrem und nicht in der Mitte. Das scheint offenbar unsere gelernte innere Haltung zu sein!?

Deshalb habe ich das Wahrnehmen, Annehmen, Einschätzen der Situation besonders mit in den Schulalltag genommen. Weil: Wir haben eigentlich nur uns. Deshalb müssen wir gut für uns sorgen. Egal ob wir viel oder wenig von etwas haben. 

Und wenn ich mal meine Mitte verliere, sind meine Lieblingsübungen „Stretch Around the Heart“ und das „Grounding im stehen“, die auf der Webseite sind.

Dann fühlt alles wieder richtig an seinem Platz an. 

Astrid Blaß